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Was haben Skorpion und Fiktion gemeinsam? Eine Frage, die nach der klassischen Antwort verlangt: „Das ist eine lange Geschichte.“

Du magst sie hören? Setzt dich hin. Ich erzähl sie dir gerne!

Zunächst mal: Ich bin ein bekennender Fiktion-Junkie, und du, geschätzte Besucherin, geschätzter Besucher dieses Blogs, auch. Nehmen wir den Thriller also ruhig als eine von vielen Drogen wahr. Allerdings als Droge mit Sonderstatus. Denn sämtlichen anderen Drogen fehlt etwas – ob Heroin, Crystal Meth, X-Box,  TV, Sex, Junk Food, Schokolade oder Zigaretten. Klar, sie alle bringen den momentanen Kick, das flüchtige gute Gefühl … und dann war’s das schon.

Fiktion jedoch, Mesdames et Messieurs, ist anders.

Alles ist Energie

Die moderne Quantenphysik belegt, dass alles Energie ist. Alles. Erde, Bäume, Häuser, unser Körper, unsere Gedanken. Bei der Fiktion – beim Kreieren wie beim Lesen – fokussieren wir Energie auf das Erschaffen von innerer Realität. Das Erschaffen von Welten. Wir richten Fokus, Achtsamkeit und somit Hirn-Energie auf unsichtbare parallele Dimensionen, schmücken und färben sie mit Liebe, Angst, Sehnsucht, Leidenschaft und Wut … und manchmal geschieht etwas. Manchmal erleben wir, wie nachhaltig jene Welten, die traditionell als „reine Fantasie“ abgetan werden, in uns weiterwirken. Uns verändern. Uns stärken, beschützen, beglücken, uns Sinn verleihen. Beim Lesen und beim Schreiben.

Als ich noch Skorpion war

Bis zu meinem 35. Altersjahr lebte ich in der Überzeugung, astrologisch ein Skorpion zu sein, wurde ich doch am 22. November geboren, und auf fast allen Zuckertütchen wird man bei diesem Datum den Skorpiongeborenen zugeteilt. Logo, dass ich mich als Teenager für Astrologie interessierte. Erst später, als meine bessere Hälfte, eine der coolsten Astrologinnen der Schweiz, mir mitteilte, dass ich in der ersten Minute des Schützen geboren wurde, änderte sich mein Weltbild. Wie man mitten im Leben sein Sternzeichen wechselt, ist wohl eine Story für sich, aber vorerst mal zurück zum Skorpion …

Verbrannte Erde

Yves Patak Schriftsteller www.PatakBooks.com Skorpion Kraftbild Sternzeichen Fiktion Schöpfung

Im festen Glauben, ein plutonischer, stets stichbereiter Skorpion zu sein, las ich Bücher über Skorpiongeborene. In einem jener Bücher kam ein Abschnitt vor, der mein Leben verändern sollte:
„Der Skorpion ist ein Meister im Überleben auf verbrannter Erde; er ist zäh, beinahe unzerstörbar, er kämpft bis zum bitteren Ende, während andere schon längst aufgeben …“

 

Verbrannte Erde. Was für ein Bild! Obwohl ich von diesem militärischen Begriff nie gehört hatte, war die Vision glasklar. Ich sah mich als menschengrossen Skorpion auf dampfender, verkohlter Erde stehen, breitbeinig (als Skorpion besonders eindrucksvoll), Zangen und Stachel erhoben, die Miene entschlossen, selbstsicher, knallhart, der geborene Überlebenstyp.

Kraftbild

Yves Patak Schriftsteller www.PatakBooks.com Lava Schöpfung Skorpion Verbrannte ErdeDas Bild setzte sich in mir fest, entwickelte eine Eigendynamik. In so vielen schwierigen Lebenssituationen half es mir, durchzubeißen, nicht aufzugeben, taff zu sein, nicht in die Opferrolle abzudriften. Ich war ein Skorpion, durch und durch.

Das Verrückte war aber der Moment, als ich erfuhr, dass ich Schütze bin. Obwohl ich mich schon bald innerlich neu ausrichtete, änderte das nichts an meinem Kraftbild. Nicht das Geringste. Der Skorpion in mir hatte über die Jahre so viel Energie, so viel Aufmerksamkeit erhalten, dass ich mich weiterhin als Rocky fühle, als ‚Die Hard‘ John McClane, als einer, der sich nicht unterkriegen lässt.  Im Arzt- und Selfpublisher-Business sehr hilfreich!

Schöpfung

Ob die Grenzen der Fiktion und damit der Kreation damit erreicht sind, steht in den Sternen. Es gibt genug Romane, bei denen es um das Thema der Kreation durch Fiktion geht. So wie Dr. Frankenstein seine Kreatur erschuf, so spielen etliche Schriftsteller mit dem Gedanken, dass ihre geistigen Kinder tatsächlich ‚geboren‘ werden und manchmal sogar eine Eigendynamik entwickeln – wie etwa in Stephen Kings Thriller Stark – The Dark Half.

Dabei geht es nicht um Größenwahn und Allmachtsgedanken, sondern um die instinktive Frage des Schriftstellers, ob seine Schöpfung tatsächlich nur in seinem Gehirn existiert – oder auch „irgendwo da draußen.“ In der realen Welt. Oder einer parallelen Dimension, die vielleicht erschreckend nahe an der unseren existiert, getrennt von filigranem Gedankenstoff. Es könnte sein, dass das Schöpfen von Figuren und Handlungen eine Tür zu etwas öffnet, das unser Leben verändert.Yves Patak Schriftsteller www.PatakBooks.com Skorpion

Ob ich daran glaube?

Ich antworte mit einem entschiedenen Vielleicht!

Gewisse Menschen aus der Gattung der Nicht-Leseratten (Rattus Non-Lectionis) sind der Meinung, dass Romane sinnlos sind. Fiktion, Phantasie und Luftschlösser hätten mit dem wahren Leben nichts zu tun. Ein Statement ohne viel Tiefgang, denn es gilt der Kernsatz:

Die Fiktion spiegelt die Realität wider – und umgekehrt.

Dichtung und Wirklichkeit sind unentwirrbar miteinander verwoben und beeinflussen sich gegenseitig. Für viele Menschen wirkt der Roman als Stimulus, als ein wunderbarer Seelenreiz, als Tor in phantastische Welten. In der Psychotherapie gibt es sogar den Begriff der „Bibliotherapie„, einer Therapieform, die sich auf das Lesen und die heilende Wirkung der Sprache stützt. Eine neuere Studie zeigt schließlich, dass düstere Romane Depressiven helfen können.

Relativitäts-Ohrfeige

Ich bin ein Hörbuch-Junkie. Wenn ich alleine fahre, bedeutet Autofahren für mich Hörbuch-Zeit. Meist ziehe ich mir spannende Thriller rein. Kürzlich war ich mit Jack Reacher unterwegs, dem coolen Einzelgänger-Helden und ehemaligen Militärpolizisten aus Lee Childs Feder. In einer Nebenszene begegnet Reacher einem früheren Marine, der hintergangen wurde und in afrikanische Kriegsgefangenschaft gelangte.Yves Patak Schriftsteller www.PatakBooks.com Relativität Gefängnis

Die Nebenszene wird schonungslos und detailliert beschrieben. Beinahe wollte ich rechts ranfahren, um durchzuatmen. Der Marine musste monatelang in einer vollgestopften Zelle überleben – so vollgestopft, dass man sich nicht einmal hinlegen konnte. Geschlafen wurde stehend. Der Boden war eine Jauchegrube menschlicher Exkremente. Irgendwann wurde der Marine mit einer Gruppe von Mitgefangenen auf einen Hof geführt. Man erklärte ihm, dass er sich zu seinem Geburtstag wünschen dürfe, ob man ihm das Bein ober- oder unterhalb des Knies absäbelt. Die Machete flog und künftig wurde an jedem Geburtstag  ein Körperteil amputiert. Linker Fuss, rechter Fuss, linke Hand, rechte Hand …

Die Szene ist grauenhaft. Vor allem, weil solche Dinge wirklich geschehen. Ein Teil in mir rebellierte, wollte weghören und die inneren Bilder nicht zulassen. Ein anderer Teil steckte die Relativitäts-Ohrfeige tapfer ein. Die Ohrfeige, die mich daran erinnerte, wie verdammt gut es mir geht, wie verdammt gut es den meisten von uns geht im Vergleich zu dem unglücklichen Marine. Wir sprechen von Fiktion, die die Realität widerspiegelt und damit etwas  in uns bewegt. Fiktion, die eine Entwicklung, eine Erkenntnis fordert.

Die tägliche Erinnerung

Wenn mich alle paar Monate jemand daran erinnern würde, dankbar zu sein für all das Schöne, das ich habe und andere eben nicht, käme dies moralinsauer rüber und der Effekt wäre dürftig. Der Impuls käme viel zu selten, wäre „abstrakt“. Mein Wissen bliebe ohne innere Bilder, die mich bewegen. Romane hingegen evozieren täglich innere Bilder und zeigen mir, wie es „auch sein könnte“. Sie erinnern mich an das Relativitätsgebot des menschlichen Lebens.

Mein Plädoyer endet somit am Anfang: Bei meiner Überzeugung, dass Fiktion – ob Liebesromane, historische Romane oder Thriller – weit mehr ist als Unterhaltung. Sie gehört zu unseren Lehrern in der großen Lebensschule.