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»Lass sie los, du Schwein!« knurrt Hugh. Ungeachtet der auf ihn gerichteten Pistole steht er auf und macht einen raschen Schritt auf seine Tochter zu. Blitzschnell dreht sich Coppola um die eigene Achse und verpasst dem Arzt einen Tritt in den Magen. Mit einem erstickten Schnauben sackt Hugh zusammen. Gemütlich lehnt sich Coppola gegen die Wand und verschränkt die Arme, den Lauf der Pistole an seiner Schulter.

»Und nun, Dottore, erzählen Sie mir von Ihrem Freund Desmond Parker. Von seinem … Talent.«

Schwer atmend rappelt Hugh Flint sich auf. Sein Blick irrt zwischen seiner Frau und seiner Tochter hin und her.

»Sie Hundesohn …«

»Dottore, bitte. Erzählen Sie mir alles aus freien Stücken. Bevor mich die Lust überkommt, jemandem weh zu tun.«

Michael Coppola, Die Flamme, Mafioso. Soziopath, Der Screener

Und nie hört man ihn kommen …

Michael „Die Flamme“ Coppola, der Bösewicht aus meinem Thriller „Der Screener“, kommt immer dann, wen man ihn nicht erwartet. Und nie hört man ihn kommen. Er ist der Fremde, den man zu kennen glaubt, und der einen immer wieder überrascht.

In meinem Leben ist er zu einem meiner „Rumpelstilzchen“ geworden. In tiefster Nacht tanzt er um mich herum, provoziert mich, grinst mich an. Dabei frage ich mich, ob er tief in der Seele ein Mephisto ist, „Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Nun ja, nicht, dass das Töten und Foltern unschuldiger Menschen auf den ersten Blick etwas Gutes ist. Aber im Roman katalysiert dies die Entwicklung der „Guten“, hilft ihnen, über sich selbst hinauszuwachsen.

Ich habe schon einmal versucht, Coppola sterben zu lassen. Der Anschlag missglückte. Der Mafioso aus der Upper West Side ist von den Toten zurückgekehrt. Und wie es aussieht, ist er mit mir noch lange nicht fertig.

Als Schriftsteller lässt man sich ständig auf neue Beziehungen ein. Beziehungen zu den eigenen Romangestalten. Egal, ob sie einem sympathisch oder unsympathisch sind, ob Hauptfiguren oder Nebencharaktere – sie alle pochen auf ihr Recht, zu Wort zu kommen, wahrgenommen zu werden. Manchmal sind solche Rendezvous anregend. Manchmal beängstigend.

Kürzlich traf ich mich mit Michael Coppola, dem Bösewicht aus meinem Thriller „Der Screener“ …

YP: Mister Coppola, Sie sind ein Mafioso, ein Sadist, ein eiskalter Psychopath. Was treibt Sie an? Wovon genau kriegen Sie Ihren Kick, ein Monster zu sein?

Coppola (lächelt süffisant): Nenn mich Mike. Das Gespräch hier kann ganz kollegial ablaufen. Als wären wir Freunde.

YP: Freunde?

Coppola: Nun ja, du hast mich erschaffen. Wofür ich mich bedanke. Was aber noch lange nicht heisst, dass du vor mir sicher bist. Und ich bin kein Psychopath. Ich habe einfach ein paar kleine … nun, Besessenheiten.

YP: Ich würde es eher eine soziopathischen Ader nennen.

„Wovon genau kriegst du deinen Kick, ein Monster zu sein?“

Coppola: Hast du Angst vor mir?

YP: Ein wenig, ja.

Coppola: Da ist er.

YP: Wer?

Coppola: Na der Kick, nach dem du gefragt hast! Ist dir bewusst, wie stark, wie mächtig ich mich fühle, wenn ich dich hier über deinen Notizblock gebeugt sehe, während du versuchst, mich unauffällig im Auge zu behalten? Als könnte ich dich jederzeit … anspringen?

YP: Wie ich mich erinnere, wurdest du als Kind von deinem Vater gequält. Ist es denn wirklich so, dass sich die Geschichte immer wiederholen muss? Dass du deine Traumata – statt sie therapieren zu lassen – wie jeder beliebige Psychopath ausagieren musst?

„Ausagieren macht mehr Spass als Therapie …“

Coppola (lächelt): Ausagieren macht mehr Spass als Therapie. Es ist natürlicher, befreiender. Zudem habe ich mehrere Seelenklempner ausprobiert. Keiner konnte mir helfen. Einige waren so schlecht, dass ihr Berufstitel eine reine Anmassung war.

YP: Und diese Psychiater sind nun …

Coppola: Tot? Klar. Und wie du dir denken kannst, hatten sie keinen leichten Abgang.

YP: Ein unschöner Gedanke. Doch bleiben wir beim Thema. Du liebst also das Gefühl der Macht, wenn du über das Leben anderer bestimmst. Mit ihnen tust, was immer dir beliebt. Und die Angst deiner Opfer schenkt dir dieses Machtgefühl.

Coppola: Oh, nicht nur ihre Angst. Auch ihr Schmerz, ihr Respekt, ihre Ehrfurcht, ihre Faszination vor meiner Skrupellosigkeit.

YP: Faszination? Ich folge nicht ganz …

Coppola: Natürlich tust du das. Schau dich doch an. Du bist von mir fasziniert. Gerade jetzt. Und weisst du, warum?

YP: Um des Gespräches willen: Warum?

Coppola: Weil du mich um meine Freiheit beneidest. Um das, was du und deinesgleichen nie haben werdet. Die Freiheit, ohne Gewissensbisse, ohne Angst vor Recht, Moral und Gesetz mein eigenes Ding durchzuziehen. Zu tun und mir zu nehmen, was ich will. Die Freiheit, mich wie ein Gott zu fühlen, ohne mich dafür schämen zu müssen. Wenn das nicht grenzenlose Macht ist!

YP: Vielleicht täuschst du dich. Ich habe dich erschaffen. Genauso leicht kann ich dich vernichten. Sobald ich den zweiten Teil von „Der Screener“ fertiggeschrieben habe, sobald ich ihn veröffentliche … wer weiss, ob du dann noch existierst.

„Die Geschichte ist noch nicht fertiggeschrieben …“

Coppola (lächelt gelassen): Wie ich es sehe, ist der Roman noch nicht fertiggeschrieben. Und ehrlich gesagt habe ich Mühe zu glauben, dass du mich so einfach loslassen kannst. In deinem Roman bin ich das Salz in der Suppe. Der Pfeffer im Gericht. Ich verpasse deiner Story erst die richtige Würze. Und wenn das alles nicht genügen sollte, um mich am Leben zu halten —

YP: Dann was?

Coppola (lässt sein Zippo-Feuerzeug aufschnappen, betrachtet die Flamme): Ich weiss, wo du wohnst …

Feuer!

Manchmal ist es ganz schön gruselig, wenn man einem Psychopathen begegnet. Vor allem, wenn es der „eigene Psychopath“ ist – der, der im eigenen Kopfkino Feuer legt. Michael „Die Flamme“ Coppola ist ein Ungeheuer mit einem traumatischen Hintergrund. Ein Monster, das in der vulkanischen Macht des Feuers ein Ventil gefunden hat. Doch Mike ist nicht ein gewöhnlicher Pyromane, der es liebt, Feuer zu entfachen, sondern ein soziopathischer Sadist, eine ebenso charismatische wie beängstigende Figur – eine Figur, die mir kürzlich zugeflüstert hat, dass mein Thriller „Der Screener“ – entgegen meinem ursprünglichen Plan – nach einer Fortsetzung verlangt. Charmant und unmissverständlich droht mir Mike, dass er mit dem Feuer, mit mir und der Leserschaft noch lange nicht fertig ist.

Ich höre seine Worte und behalte eine Poker-Miene, während Gänsehaut über meinem Rücken prickelt. Kann man einem Psychopathen nein sagen?

„Feuer …!“

Die Frage ist rhetorisch. Und so nicke ich, wohl wissend, dass man Coppola nicht widerspricht. Aber vielleicht kann ich mit ihm verhandeln. Vorsichtig. Diplomatisch. Denn man weiß nie, wie seine Launen sind. Ob er gerade cool ist … oder kurz vor dem Durchbrennen.

Es ist mein Risiko als Schriftsteller, in der Fiktion Gott zu spielen, in den Prozess der Schöpfung einzugreifen, der sich jederzeit gegen mich, den Schöpfer wenden kann. Romanfiguren erwachen zum Leben (siehe auch Stark, the Dark Half, von Stephen King), entwickeln eine Eigendynamik, einen eigenen Charakter und Willen – und nicht immer entspricht dieser Wille dem des Schriftstellers.

Michael Coppola war für mich zunächst nur der Teufel, der überall Feuer legt und meinem Helden das Leben schwer macht. Doch manches hat sich verändert. So wie es aussieht, wird „Der Screener“ nach einer totalen Revision eine Fortsetzung finden, die vor meinem geistigen Auge bereits zum Leben erwacht.

Das war nicht geplant, aber ich kann nicht leugnen, dass in mir ein blutroter Funke von Vorfreude glüht. Ich habe verstanden, warum das Ende des ursprünglichen „Screener“ mich mit Frustration erfüllte. Die Lösung ist so einfach: Es darf noch kein Ende geben. Denn der Thrill hat eben erst begonnen. Und bin gespannt, was Michael „Die Flamme“ Coppola noch mit uns allen vorhat …