Eine der häufigsten Fragen, die man als Schriftsteller hört: „Wo hast du bloss all deine Ideen her?“
Bei vielen Leuten steckt Neugier hinter der Frage, oder das Bedürfnis nach Small Talk. Da gibt es aber auch diejenigen, die gerne kreativ sein würden, die selbst ein Buch schreiben oder sonst etwas entwickeln wollen. Jene Menschen wissen, dass es manchmal gar nicht so leicht ist, ein kreatives Projekt vorwärts zu treiben, weil die zündende Idee fehlt. Ideen kommen, so scheint es, meist dann, wenn wir am wenigsten nach ihnen suchen. Was wiederum an das Faust-Zitat – „Es irrt der Mensch, solang er strebt“ – erinnert. Danke, Goethe, sehr hilfreich.
Wir können die Muse nicht zwingen, uns zu küssen. Aber wir können sie motivieren. Dazu verführen.
Da ich seit Kindheit dazu neige, dem Tagträumen zu verfallen, ist der Trance-Zustand meine zweite Natur. Dass ich Hypnosetherapeut wurde, war zwangsläufig. Das Wunderbare am hypnotischen Zustand ist aber nicht nur das therapeutische Potenzial, sondern auch die Möglichkeit, auf die Reise zu gehen – auf die Reise zur Muse, auf ins Abenteuer Inspiration. Bei mir beginnt die Reise oft mit einer magischen Formel:
„Man stelle sich vor …“
Es gibt tausend Wege, die Imagination und damit die Inspiration anzuregen. Ein Beispiel? Du brauchst einen Bösewicht, einen Schurken für deinen Thriller? Okay. Setze oder lege dich hin, schliess die Augen. Du sitzt in einer Bar, einer schummerigen Bar – sagen wir in Manhattan – wo sich allerlei Pack herumtreibt, zwielichtiges Volk, dem du im Alltag kaum je begegnest. Du sitzt an der Theke, vor dir einen Whiskey Sour, und beobachtest die Leute in der Bar, suchst nach dem einen, der das Zeug hat, der Schurke in deinem Roman zu werden. Er sollte alt sein, denkst du, denn viele Kanaillen sind jung, stark und gefährlich. Du aber möchtest einen alten Mann, weil man diesen unterschätzt, was ihn umso gefährlicher macht.
Du schaust dich also um und siehst einen alten Mann, nur drei Hocker von dir entfernt, ein schäumendes Bier in der Hand. Der Alte hat einen Rauschebart wie der Weihnachtsmann, aber die Augen – nein, das eine Auge, denn er trägt eine Augenklappe – hat nichts vom guten alten Santa Claus. Es glitzert honigfarben, und da ist eine Schlauheit, die an Hinterhältigkeit grenzt. Und obwohl der Mann wirklich alt ist, uralt sogar, strahlt er eine Lebendigkeit, eine Energie aus, die nicht zu seinen Jahren passen will.
Der Mann trinkt sein Bier aus, erhebt sich, und du folgst ihm durch die nächtlichen Strassen Manhattans. Du bleibst weit zurück, denn es wäre nicht gut, wenn der Alte deine Präsenz bemerken würde. Gar nicht gut.
Nach einem langen Fussmarsch – und hey, der Alte geht nicht, er läuft wie ein Wiesel! – gelangst du in den Meatpacking District, siehst, wie der bärtige Alte eine verlassene Fabrikhalle betritt. Kurz entschlossen (und, gib’s ruhig zu, ziemlich nervös) schleichst du um die Halle herum und findest ein Loch im Wellblech, ein Guckloch, durch das du hineinspähst.
Und jetzt wird es gruselig.
In der Mitte der Lagerhalle, über einem Metalltisch, hängt an einem langen Kabel eine einzelne, nackte Glühbirne und beleuchtet die aufgeschlagenen Seiten der White Pages, dem Telefonbuch Manhattans. Bewegungslos verharrt der Mann vor dem Tisch, hält die von Alterflecken übersäte Hand dicht über dem Telefonbuch, eine mächtige Hand mit langen, knotigen Fingern, die nach einer unsichtbaren Schwingung zu tasten scheinen. Dann, wie ein Falke im Sturzflug, sticht der harte Nagel des Zeigefingers nach unten, hackt sich in einen Namen im unteren Drittel der Seite.
Langsam, wie in einem eigenartigen Ritual, fährt der Fingernagel über die eine Zeile, hin und her, ritzt das Papier. Das schabende Geräusch, ein tonloses Fauchen, scheint die nackten Wellblechwände der Halle emporzukriechen, die Luft zum Knistern zu bringen. Unter dem Fingernagel kringelt sich gelblicher Rauch empor, und das Papier färbt sich bräunlich, dann schwarz …
So habe ich meinen Roman-Schurken Samael Janoda („Tödlicher Schatten„) getroffen. Bin ihm mit klopfendem Herzen zur Lagerhalle gefolgt, um ihn aus sicherer Distanz kennenzulernen.
Bei mir läuft dieser Prozess meistens von alleine. Allerdings gebe ich meinem Geist die Gelegenheit, auf die Reise zu gehen, biete ihm die ideale Startbahn, um abzuheben.
Ganz ohne LSD und Grüne Fee.
Der Schriftsteller, der an der gelegentlichen Schreibblockade leidet, kann durch Hypnose lernen, sich seine eigene, private Strasse zur Dimension der Kreativität zu etablieren, sich täglich zur flüchtigen Muse heranzuschleichen. Dabei gibt es unzählige Wege, sich inspirieren zu lassen. Vielleicht stehst du (mental) auf einer Lichtung im Wald und hörst ein seltsames, rhythmisches Geräusch, wie von einer Axt … aber irgendwie klingt es nicht wie eine Axt. Was könnte es sein? Oder du gehst durch einen Hotelflur, in einem abgelegenen Hospiz hoch oben in den Bergen, und du hörst hinter einer der Zimmertüren plötzlich ein Tuscheln, und du weisst, dass du gemeint bist, ahnst, wer oder was da hinter der Tür lauert …
Für diejenigen, die den Weg zur kreativen Trance kennenlernen möchten: Einfach melden auf ypatak@bluewin.ch!